Die Trilogie knüpft inhaltlich und formal an ihren bereits 2009 erschienenen Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ an und bearbeitet zwei ganz zentrale und immer wiederkehrende Themen in Schochs Werk: Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung.
Ausgangspunkt von „Das Vorkommnis“ ist die Begegnung der Ich-Erzählerin bei einer Lesung mit einer unbekannten Frau, die erklärt, denselben Vater zu haben wie sie. Diese Begegnung löst bei ihr eine Kaskade von Gefühlen, Erinnerungen und Reflexionen aus, die schließlich zu einer Identitätskrise führen, weil sie ihr bisheriges Bild von ihrer Herkunftsfamilie – Vater, Mutter, zwei Töchter – revidieren muss. Das Ganze schildert die Ich-Erzählerin, deren Leben viele Parallelen zur Biographie von Julia Schoch aufweist, in 72 kurzen Erzählfragmenten, mit häufigen Wechseln der Zeitebenen und zahlreichen Rückblenden und Vorwegnahmen, aus denen erst ganz allmählich ein Gesamtbild entsteht, ohne dass alle Lücken geschlossen werden. Was Fiktion, was autobiographisch ist, bleibt im Ungewissen.
Bezieht sich "Das Vorkommnis" mehr auf Herkunft und Stammfamilie der Ich-Erzählerin, geht es im gerade erst im Februar erschienenen zweiten Buch "Das Liebespaar des Jahrhunderts" nun um ihre lebensbestimmende Mann-Frau-Beziehung.
Dabei ist „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ weniger eine Fortsetzung von „Das Vorkommnis“, sondern eher seine Neuerzählung mit einem anderen Fokus, nämlich dem auf der Zweierbeziehung statt auf der Beziehung zur Herkunftsfamilie.
In „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ liefert sie auch selbst die Erklärung, warum manche Geschichten mehr als einmal erzählt werden müssen:
Vermutlich schreiben die meisten Schriftsteller deshalb mehr als nur ein Buch. Weil man, wenn eins fertig ist, begreift, was alles darin fehlt. Und dann, um die Lücke zu füllen, um es besser, ja endlich einmal richtig zu machen, muss man das nächste schreiben. Wie Fenster in einem sehr großen Haus, die man bei Sturm zu schließen versucht, und immer, wenn man glaubt, nun ist es geschafft, alles zu, fliegt wieder irgendwo eins auf, und man muss sich darum kümmern.
Wie schon im ersten Teil geht Schoch in „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ gleich mit dem ersten Satz in medias res: Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.
Von diesem Satz ausgehend erzählt die Ich-Erzählerin im Rückblick, in der Vergangenheit aber achronologisch, 30 Jahre ihrer Beziehung zu einem Mann, „ihrem“ Mann – 30 Jahre vom Rausch der Verliebtheit über die Gewohnheit bis zur Resignation und dem Wunsch nach Trennung bei gleichzeitigem Wunsch nach Fortdauer der Beziehung. Dabei füllt sie geschickt viele der Lücken, die sie im ersten Teil der Trilogie gelassen hat. Die Drohung der Erzählerin vom Anfang, „Ich verlasse dich.“, bleibt bis zuletzt in der Schwebe. Man darf also auf den dritten Teil gespannt sein.
Michael Steffel
Zur Autorin:
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Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, aufgewachsen in der DDR-Garnisonsstadt Eggesin in Mecklenburg, gilt als »Virtuosin des Erinnerungserzählens« (FAZ) und bekam für ihre von der Kritik hochgelobten Romane und Erzählungen schon viele Preise, zuletzt den Schubart-Literaturpreis für ihren Roman ›Das Vorkommnis. Biographie einer Frau‹. Für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk wurde ihr 2022 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung verliehen. Sie lebt in Potsdam. |
Zum Schubart Literaturpreis der Stadt Aalen:
"Der Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen trägt den Namen eines Mannes, der sich in der Geschichte des deutschen Geistes einen Ehrenplatz erwarb durch sein unerschrockenes Eintreten für die Freiheit des Bürgers und durch die Tragik einer zehnjährigen Festungshaft, mit der er für seinen Mut zu büßen hatte.
Der Preis trägt zugleich den Namen einer ehemaligen freien Reichsstadt, deren innere Ordnung auf bürgerschaftliche Gesinnung und bürgerliche Freiheit gegründet war. Aus beidem ergibt sich die Bestimmung des Literaturpreises, den Schubarts Heimatstadt im Jahre 1955 zum ehrenden Andenken an den Dichter, Komponisten und ersten deutschen Journalisten gestiftet hat. Der Preis wollte ursprünglich neben eigentlichen Werken über Schubart auch literarische oder wissenschaftliche Arbeiten fördern, die der „Kräftigung des bürgerlichen Selbstverständnisses“ dienen und einer öffentlichen Auszeichnung würdig sind.
Durch die Änderungen des Statuts in den letzten zwei Jahrzehnten wurden die Grenzen der für den Preis in Frage kommenden Werke dann weiter gefasst. Der Preis kann an Personen verliehen werden, deren literarische Leistung in der Tradition des freiheitlichen und aufklärerischen Denkens von Christian Friedrich Daniel Schubart steht." - aalen.de